Bericht vom der „Kartoffelsuppe 2019“, der Auftaktveranstaltung der Seeheimer Oberbayern

„Wahrnehmung ist Realität“ – Ätzende Kritik am
Landtagswahlkampf der BayernSPD

rh. Christoph Moosbauer, Kommunikationsberater und MdB a.D., war der Publikumsmagnet bei der diesjährigen „Kartoffelsuppe“, dem Jahresauftakt der Seeheimer Oberbayern, in der Traditionsgaststätte FREILAND des Ortsvereines selbigen Namens. Dr. Fabian Winter, einer ihrer vier Sprecher, konnte im voll besetzten Gasthaus auch zahlreiche prominente Gäste begrüßen, so die Vorsitzende der SPD München, unsere Bundestagsabgeordnete Claudia Tausend, den Referenten des Gesamtbetriebsrates der Firma AUDI, Herrn Ralf Mattes, mehrere Mitglieder des Münchner Stadtrates und der Bezirksausschüsse sowie zahlreiche Ortsvereinsvorsitzende aus Oberbayern.

Leider nicht dabei sein konnten u.a. Hans Jochen Vogel, einer der Gründer der Seeheimer, Seban Dönhuber, ehemaliger Landrat und Senator aus Altötting, sowie Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Landau, beides ehemalige Sprecher des Gesprächskreises „Soziale Demokratie“ der Seeheimer. Sie ließen die Versammlung herzlich grüßen.
Winter ging auf das Analyse- und Positionspapier der Seeheimer Oberbayern zum Ergebnis der Landtagswahl, „SPD Bayern erneuern, jetzt!“ ein, das nach der für die
BayernSPD desaströsen Landtagswahl 2018 entwickelt und veröffentlicht worden ist. Er beklagte sich dabei, dass von Seiten des Vorstandes der BayernSPD keinerlei Bereitschaft vorhanden war, das Papier als eines von mehreren Analysen über Ursache und Folgerungen aus dem historisch schlechten, geradezu blamablen Wahlergebnis bei den Mitgliedern zu verbreiten oder gar zu eines Diskussion der Inhalte einzuladen. Offenbar, so Winter, hat man sich im Landesvorstand auf ein „weiter so“ festgelegt.

von rechts: Fabian Winter, Christoph Moosbauer, Ludwig Hoegner

Ludwig Hoegner, ebenfalls ein Sprecher der Seeheimer Oberbayern, übernahm die Moderation und stellte zunächst den Redner des Sonntags, Christoph Moosbauer vor. Mitglied der Geschäftsführung der deutschen Tochter einer der weltweit größten Kommunikationsfirmen, Bundestagsabgeordneter 1998-2002 nach Gewinn des Direktmandats im Münchener Süden, Hoffnungsträger der Bundespartei für den sozialdemokratisch weitgehend verwaisten Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, mit Schwerpunkt Nahostpolitik, wurde Moosbauer 2002 von einem ignoranten Landesvorstand schnöde ausgebremst und auf einen hinteren Listenplatz geschoben. Moosbauer habe zwar in seinem damaligen Wahlkampf desungeachtet alles gegeben, hätte aber letztlich gegen den „Minenhund“ Stoibers, Peter Gauweiler, knapp verloren. „Kaum einer weiß oder kann es heute glauben, mit welchem Ergebnis Christoph verloren hatte: es waren sensationelle 42 %“. Hoegner würdigte die Leistungen Moosbauers für die SPD auch nach dem Jahr 2002, u.a. sein Engagement in der Friedrich Ebert Stiftung, in der er über 10 Jahre das „Israel-European Policy Network“ leitete und vor allem im Bereich Nahostpolitik aktiv wurde.
Hoegner stellte mit Genugtuung fest, dass über die Hälfte des JUSO Vorstandes von 1998, die den Wahlkampf voller Elan unterstützt hätten, heute bei der Kartoffelsuppe anwesend seien.

Christoph Moosbauer begrüßte seinerseits die fast 90 Teilnehmer an diesem sonntäglichen Nachmittag und stellte, mit Blick auf einzelne Gäste, schmunzelnd fest, dass es vor 30 Jahren undenkbar gewesen wäre, dass so viele JUSOVertreter, er eingeschlossen, sich in diesem seeheimischen Hort des Bösen getroffen hätten. Mit Genugtuung stelle er fest, dass die oberbayrische SPD in diesen harten Tagen auf
Solidarität untereinander und weniger auf die ideologischen Kämpfe vergangener Zeiten einlassen würden.

Chrstioph Moosbauer

Zur Lage der SPD: Kernfrage in der schwierigen Situation sei, die nächsten Schritte zu planen und festzulegen. Dabei sei es wichtig, sich klarzumachen, dass die entscheidende Wahl nicht die Europawahlen im Mai 2019 seien – die Umfragen lassen einen weiteren Absturz der SPD erwarten – sondern die Kommunalwahl in Bayern 2020. Hier ginge es um die Lebensfrage der BayernSPD an sich, nämlich ob sie vom Wähler noch als die Partei wahrgenommen würde, die die Stadt-Gesellschaft und die Kleinstadt- wie auch ländliche Gesellschaft zusammenhalten und zusammenführen könne. Diese Gesellschaftsschichten wären in den vergangenen Jahren immer stärker auseinandergedriftet und es sei immer schwieriger geworden, diese eher kulturelle Spaltung aufzuhalten und für sie alle eine gemeinsame Politik zu finden. Dies zu leisten sei die wesentliche Aufgabe der Sozialdemokratie.

Zur Ausgangslage der Landtagswahl erklärte er: er habe die Niederlage, einschließlich dem Fakt, unter die 10 % Hürde zu fallen, kommen sehen und hätte darauf lange vor dem Wahlabend wetten können. Dies sei deshalb schon frühzeitig offensichtlich gewesen, als im Wahlkampf von Anbeginn so ziemlich alles, was falsch gemacht werden kann, falsch gemacht wurde. Das habe mit der Wahl der beratenden Agentur begonnen, habe sich über die gewählte Plakatfarbe „Blau“ fortgesetzt („wie kann man denn sein Markenzeichen, “Rot“, in einem Wahlkampf aufgeben?“) und sei schließlich, quasi als Höhepunkt der Wahlkampfkunst, in einem „Schreck“-Plakat mit Söder als Hauptperson gemündet. Sowohl der Inhalt als auch überhaupt die Idee, den Gegner auf ihrem Plakat darzustellen, sei so ziemlich das dümmste, was einem im Wahlkampf einfallen könne. Doch damit nicht genug: Es sei symptomatisch für den Wahlkampf
gewesen, dass er ohne eigenes erkennbares politisches Ziel, weitgehend ohne erkennbaren Standpunkt – von „Anstand“ abgesehen, aber das sei hoffentlich in der BayernSPD selbstverständlich -, ohne erkennbaren Inhalt. Eine Schnapsidee sei es gewesen, ausgerechnet einen Wahlkampfleiter aus Berlin zu holen, dessen tiefe Abneigung dem Bayerischen gegenüber allen bekannt gewesen sei.

War das Konzept schon grundfalsch angelegt, so sei die Konzentration auf die Städte schlicht fatal gewesen. Ätzende Kritik übte Moosbauer auch an dem Versuch, eines der zentralen Themen in der Gesellschaft, nämlich die Flüchtlingskrise, totzuschweigen, einfach nicht darüber zu sprechen. Er sprach von der „Elefantenlogik“, dass nämlich über das größte im Raum stehende Problem einfach die Augen verschlossen würden.
Geradezu dreist fand er dann die These nach der Wahl, dass beileibe nicht hausgemachte Fehler, sondern „die Berliner“ die Niederlage herbeigeführt hätten. Natürlich seien die Vorgaben, z.B. der Streit um die Koalition, der nachfolgende Koalitionshader und die Maassen Affäre nicht gerade förderlich gewesen, aber daraus eine „Dolchstoßlegende“ zu zimmern und sich somit voll zu entlasten, sei einmalig in der sozialdemokratischen Geschichte des Umgangs mit Wahlniederlagen.

Christoph Moosbauer während des Vortrages

Er verwies auf den ganz anderen Wahlkampf der Grünen: professionell, Plakatierungen, die von den meisten Bürgern als positiv und vorbildlich aufgenommen wurden, aber auch Aktionen deren Besuch bei allen bayerischen Polizeistationen, um ihre Defizite im Bereich der inneren Sicherheit abzudecken. Vergleichbares habe er von der SPD nicht gesehen. „Wir kämpfen heute um unsere politische Existenz“, rief der den Zuhörern zu, und verwies darauf, dass die SPD unter dem leider früh verstorbenen Karl-Heinz Hiersemann, im Wahlkampf FJS weit unterlegen, damals noch auf 25 % Stammwähler kam. Eine gute Strategie zeichne sich in der deutschen Wählerlandschaft dadurch aus, von der Mitte des jeweiligen Lagers aus (für die SPD also nicht vom sozialistischen Rand her) bis ins linke Lager zu wirken. „Nach wie vor gilt, dass der Gewinn der Mitte entscheidend für den Erfolg ist“. Wer diese verlasse, in auch noch unklar formulierten Projekten und dem „Systemwechsel“ sein Heil suche, habe von vornherein verloren.

Beim Blick in die Zukunft sieht Moosbauer für die SPD nach wie vor große politische Chancen. Sie sei die Kraft, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Widersprüche der industriellen Dynamik und der sozialen und gesellschaftlichen Folgen zum Ausgangspunkt ihrer Politik machte und versucht, diese Widersprüche im Rahmen einer Synthese zum Wohle aller zusammenzuführen und den gesellschaftlichen Ausgleich zu erreichen. „Wir stehen heute mit der Digitalisierung vor genau der gleichen Herausforderung als damals bei der Industrialisierung oder später mit der Globalisierung“. Nur die SPD könne es schaffen, eine Politik zu formulieren, die die sozialen und soziologischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts verknüpfen und eine kohärente Politik für Wohlstand Freiheit und Zukunftsfähigkeit prägen kann. Steuergerechtigkeit mit Blick auf die Technologiekonzerne, Verteilung von Vermögen und Einkommen, gute Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung, Behebung der Bildungsdefizite – die Welt sei voller sozialdemokratischen Themen. Bezüglich der Außenpolitik erinnere an das, was die Politik Willy Brandts ausmachte, und an das Jahr 2002, als Gerhard Schröder sich gegen den Irakkrieg gestellt habe. „Damals war die SPD Treiber und auch Gewinner, d.h. mit Europa- und Außenpolitik ließen sich durchaus auch Wahlen gewinnen“.

Als eines der größten, der Misere zugrundeliegende Defizite sieht Moosbauer darin, „dass uns die Leute nicht mehr verstehen und deshalb auch nicht mehr folgen. Warum? Vor allem weil wir es verlernt haben, parteiintern offen zu diskutieren und den Bürgern draußen zuzuhören“. Dies sei besonders deutlich bei der Flüchtlingsproblematik geworden, der bei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen zwischen der Mehrheit der Bevölkerung und den parteiinternen Zirkeln zutage traten. Moosbauer zitierte in diesem Zusammenhang einen Satz des Niklas Luhmann, der sagte:
„Wahrnehmung ist Realität“. Die „normalen“ Schichten des Volkes fühlten sich von der selbst ernannten Elite abgehängt, zum Teil verachtet und nicht mehr gehört sowie verstanden. „Man stellte sich zur Pflege der Willkommenskultur auf dem Münchner Bahnhof, schenkte den Ankommenden Teddybärchen, und schob aber die Flüchtlinge dann doch rasch im Rahmen der Verteilung auf die Fläche aufs Land ab. Die dortigen Bürgermeister sollten dann klarkommen. Dasselbe Muster wäre bei der Energiewende zu beobachten: Die Vorzüge regenerativer Energien würden in den Städten genossen, aber die Windmühlen, Solarfelder, Biogasanlagen mit entsprechenden Maismonokulturen setze man ins Land. „Die Elektroräder und Elektroautos mögen für die Stadt vernünftig und gut sein, die Menschen auf dem Land empfänden dies aber aus logischen Gründen aber gar nicht. Nun also plane die SPD „die Erneuerung“. Manchmal habe den Eindruck, der Generalsekretär verstehe darunter lediglich die Einführung einer SPD-APP. „Wir sind zu sehr eine Funktionärspartei“, rief er den Zuhörern zu, „es ist wie bei der „Reise nach Jerusalem“: nach jeder Wahlniederlage gäbe es weniger Mandate und jeder schaut nur, dass er selbst sitzt, wenn die Musik aufhört zu spielen. Und dann fängt man von vorne an und stellt wieder ein paar Stühle weniger auf.“

Neues Personal: Hier stelle sich aber auch die Frage nach der Vereinbarung von Beruf, Familie und gesellschaftlicher Funktion bzw. Parteiamt. Er berichtete aus seiner eigenen Erfahrung als Bundestagsabgeordneter, bei der kaum mehr private Zeit oder auch Zeit zum Nachdenken seines eigenen politischen Tuns gehabt hätte. Änderungen der Erwartungshaltung der Partei an die Mandatsträger sei notwendig, eine vorausschauende Personalpolitik und –auswahl ebenso. Unabhängig davon aber gelte, dass SPD in Bayern neue Gesichter brauche. Lang anhaltender Beifall, stehende Ovationen für Christoph Moosbauer, zeigten die große Sehnsucht der Sozialdemokraten nach zukunftsorientierten politischen Inhalten, Erneuerung, und nach einem neuen Stil in der SPD.

von links: Robert Hagen, Claudia Tausend (MdB), Christoph Moosbauer, Ludwig Hoegner, Georg Seidl

All dies wurde in der anschließenden langen und intensiven Diskussion besprochen. Georg Seidl, Sprecher der Seeheimer Oberbayern, bedankte sich herzlich bei Christoph, für die rhetorisch brillante und substanzreiche Rede, und überreichte dem ehemaligen Münchner JUSO die Seeheimer Plakette sowie ein Buch über die Geschichte der Seeheimer. Es sei in der Tat ungewöhnlich und zeige den Ernst der Lage auf, dass in der Münchner SPD sich aufrechte Genossen und aufrechte Kämpfer für die Sozialdemokratie aller Lager zusammenfinden würden. Es sei aber endlich auch Zeit, die Krusten aufzubrechen, einen offenen Dialog zu führen, neuen Kräften und Ideen Raum zu geben. Fabian Winter beschloss im Namen aller Sprecher die „Kartoffelsuppe 2019“ als eine in der langen Reihe würdiger Veranstaltungen, mit denen versucht würde, der SPD neue Impulse zu geben.

München, Im Januar 2019
Seeheimer Oberbayern Bildnachweis: © Seeheimer Oberbayern