Stellungnahme der Seeheimer Oberbayern zu den Ergebnissen der Landtags- und Bezirkstagswahl 2023

SPD Bayern: erneuern, jetzt aber wirklich!

Es geht immer noch schlimmer. Auf nur noch 8,4 % ist die SPD bei der bayerischen Landtagswahl gefallen. Fast ein Drittel der Wählerinnen und Wähler in Bayern wählen Parteien rechts der CSU, gerade mal 25 % wählen linksliberale Parteien. Auch Grüne und FDP haben verloren. Ein erheblicher Teil der Verantwortung für das Wahlergebnis ist in der Bundespolitik zu suchen, vor allem in den ständigen Streitereien zwischen Grünen und FDP. Dass die SPD als Kanzlerpartei diese Konflikte nicht oder zu spät in den Griff bekommt, ist uns bei den Landtagswahlen auf die Füße gefallen.

Wir müssen aber auch erkennen, dass die Menschen uns keine inhaltliche Kompetenz mehr zutrauen. Der Staat scheint an allen Stellen überfordert zu sein, seien es Infrastrukturprojekte, die Energiewende, das Schulsystem oder die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. An zwei Themen zeigt sich Diskrepanz zwischen parteiinterner Diskussion und der Wahrnehmung in der Gesellschaft besonders:

Seit 2015 nehmen wir den Zustrom von Menschen, die vor Krieg und Armut nach Deutschland flüchten, weitgehend hin und reden ihn uns schön. Wir sprechen dann von den Fachkräften, die wir dringend brauchen. Dabei sind auch 7 Jahre nach der Ankunft in Deutschland nach aktuellen Zahlen noch fast 50% der damals nach Deutschland geflüchteten in keiner sozialversichungspflichtigen Beschäftigung. Auch eine „Bleibe“ außerhalb von Flüchtlingsunterkünften haben bis heute nicht alle gefunden. Das Bildungssystem ist mit der notwendigen Förderung dieser Menschen überfordert. Viel zu lange hat die SPD die Augen davor verschlossen, dass unsere Fähigkeit, diesen Menschen zu helfen und sie zu integrieren, begrenzt ist. Und wir wollten auch nicht sehen, dass nicht alle Menschen, die nach Deutschland kommen, so wie wir sein wollen, sondern in ihrer eigenen kulturellen Welt bleiben und lediglich die wirtschaftlichen Vorteile unserer Gesellschaft nutzen wollen.

Ähnlich haben wir auch bei der Energiewende die Augen davor verschlossen, dass unserem Anspruch an CO2-Neutralität begrenzte Mittel gegenüberstehen, sei es Material, Arbeitskraft oder bei vielen Menschen auch schlicht die finanziellen Mittel. Die permanente Änderung von Vorschlägen hat die Menschen verunsichert. Viele haben das Gefühl, dass eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf sie abgewälzt wird. Menschen, die ein Arbeitsleben lang ihr Eigenheim abbezahlt haben, sollen jetzt noch einmal neue Schulden machen für die Energiewende. Mieterinnen und Mieter fürchten Mietpreisexplosionen. Private Vermieterinnen und Vermieter fürchten durch hohe aufgezwungene Sanierungskosten überfordert zu werden und die häufig als Altersabsicherung über viele Jahre abbezahlte Mietwohnung zu verlieren.

Deshalb sind es besonders unsere klassischen Wählerschichten, Menschen, die von Arbeit leben und nicht von Erbschaften, Menschen, die sich früher einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten konnten und heute fürchten müssen, trotz lebenslanger Arbeit im Alter arm zu sein, die scharenweise zu CSU und Freien Wählern oder schlimmer noch zur AfD überlaufen.

Wir dürfen diese Versäumnisse aber nicht einfach auf Berlin abschieben. Die BayernSPD findet seit vielen Jahren inhaltlich keinen Anschluss an die Bevölkerung mehr. Sie taumelt zwischen linkspopulistischen Thesen und grüner Kopie durch die politische Landschaft und befindet sich so in einem stetigen Abwärtstrend. Seit der Landtagswahl 2003 mit gut 19% – aus heutiger Sicht ein Traumergebnis – geht es mit Ausnahme der Wahl 2013 mit Christian Ude als Spitzenkandidat permanent bergab. Eine ernste inhaltliche Aufarbeitung aber blieb all die Jahre aus.

Was nun herbeigeführt werden muss: die BayernSPD muss sich wieder als Teil der bayerischen Gesellschaft begreifen und Ihre Außenseiterrolle beenden. Wir müssen uns personell und inhaltlich breiter aufstellen, um dem Anspruch einer Volkspartei gerecht zu werden. Wir fordern daher:

1. Meinungsvielfalt und Diskussionskultur
Mitmachen in der BayernSPD muss wieder Spaß machen. Dazu gehört in erster Linie die Möglichkeit, sich inhaltlich einzubringen. Das erfordert eine offene, von Respekt geprägte Diskussionskultur. Leider gibt es in der BayernSPD eine Tendenz zu einer ideologisierten, von Fakten losgelösten Besserwisserei. Wer Fakten vorträgt oder der vorgegebenen Linie widerspricht, wird ausgegrenzt, oft sogar persönlich diffamiert. Inhalte sind an vielen Stellen nur noch dafür da, im innerparteilichen Kampf um Posten andere schlecht zu machen. Allzu oft wird Meinungsvielfalt in der SPD missverstanden: Meinungsvielfalt bedeutet nicht, die Mitglieder in immer kleinere Interessengruppen zu spalten und über Proporze jeder Gruppe „zustehende“ Posten zu verschaffen. Meinungsvielfalt bedeutet, die Breite der Gesellschaft durch eine tolerante, faktenbasierte Diskussionskultur abzudecken. Wir müssen uns mit den Themen beschäftigen, die die Menschen bewegen und mit ihren Argumenten. Wir müssen innerhalb der BayernSPD den Menschen zuhören, denen in diesen Themen Fachkompetenz zugetraut wird. Dafür braucht es Diskussionsformate, die unabhängig von den hierarchischen, auf Postenverteilung ausgelegten Gremien der Partei Kompetenzen bündeln und mit Menschen und Institutionen auch außerhalb des üblichen SPD-Dunstkreises in Austausch eintreten.

2. Vorpolitischer Raum und neue Mitglieder
Wir müssen wieder verstärkt Teil der bayerischen Gesellschaft werden. Hierzu muss zunächst konsequent um neue Mitglieder geworben und der sogenannte vorpolitische Raum ausgebaut werden. Neue Mitglieder dürfen nicht länger als Bedrohung der eigenen Karriereplanung ausgegrenzt oder als dummes Stimmvieh im Kampf um Posten missbraucht werden. Die BayernSPD sollte ganz im Gegenteil dankbar sein, wenn Menschen aus allen gesellschaftlichen Milieus bei ihr eintreten wollen. Neumitglieder, gerade mit Gestaltungsanspruch sollten uns willkommen sein. Für sie sind Diskussionsformate und Einflussmöglichkeiten jenseits formaler Strukturen eine attraktive Alternative zu klassischen Parteiveranstaltungen. Neumitglieder bringen Kompetenzen oder Netzwerke mit, die die Reichweite und die inhaltliche Präsenz der BayernSPD erhöhen. Dann sollen und müssen diese Menschen auch gezielt gefördert werden, anstatt sie verzweifelt und desillusioniert zurückzulassen.

3. Persönlichkeiten mit Kompetenz und Akzeptanz
Hierfür müssen auf allen Ebenen Möglichkeiten geschaffen werden, sich aktiv einzubringen. Notwendig hierbei u.a. ist, mehr Rotation und Abwechslung bei der Aufstellung unserer Kandidatinnen und Kandidaten zu organisieren. Daher fordern wir die BayernSPD auf, eine Begrenzung von Landtags- und Bundestagsmandaten von z.B. zwei oder drei Legislaturperioden für SPD-Abgeordnete anzustreben; dies soll zumindest in der Wiederaufbauphase der Partei gelten. Demokratie lebt von mitmachen; Lebensphasen und Biographien von Menschen ändern sich, daher halten wir das Lebensmodell des Berufspolitikers für weitgehend überholt, zumal es Parteien immer stärker vom „Rest“ der Bevölkerung entfernt. Hierfür ist es entsprechend notwendig, Barrieren, die den Wechsel zwischen Beruf und Politik behindern zu minimieren.

Die BayernSPD braucht auf allen Ebenen eine Strategie zur Personalentwicklung. Wir müssen gezielt innerhalb der Mitglieder und im vorpolitischen Raum Personen ansprechen und fördern, die über fachliche Kompetenz verfügen und auch außerhalb der Partei Akzeptanz genießen. Allzu oft findet die Auswahl unseres Führungspersonals nach rein innerparteilichen Kriterien statt. Die Wahl in Parteigremien wird viel zu oft vom Wunsch nach Erlangung oder Sicherung eines politischen Mandats geleitet als von der Frage, ob eine Person fachlich und organisatorisch einen Mehrwert für die Parteiarbeit erbringt. Gerade in Zeiten, in denen die SPD über immer weniger Mandatsträgerinnen und Mandatsträger verfügt muss die innerparteiliche Arbeit und die Außenwahrnehmung auf mehr Schultern verteilt werden. Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und solche die es werden wollen sollten nicht die Gremien dominieren, schon gar nicht die Gremien, die für die eigene Kontrolle oder Aufstellung zuständig sind. Daher fordern wir eine Begrenzung der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in den Vorständen der Parteigliederungen. Wir fordern, dass Kandidatinnen und Kandidaten für Landes- oder Bundesparlamente nur dann aufgestellt werden dürfen, wenn sie in der Lage sind, unsere gemeinsamen Inhalte auch zu vermitteln. Das meint sowohl fachliche Expertise als auch die Fähigkeit, Themen verständlich nach außen zu tragen. Sie müssen die Menschen im Land von der SPD überzeugen. Wichtige Kriterien sind hierbei u.a. der Nachweis erfolgreicher kommunalpolitischer Arbeit, Arbeit im vorpolitischen Raum außerhalb des üblichen SPD-Dunstkreises und berufliche Erfahrung und Anerkennung außerhalb von Parteigremien. Personen, deren Kompetenz sich auf parteiinterne Hinterzimmerpolitik beschränkt oder deren beruflicher Werdegang sich innerhalb der Partei abspielt sind nach außen nur schwer „vermittelbar“. Ihnen werden das Verständnis für die Probleme der Menschen im Land und die nötige Problemlösungskompetenz abgesprochen.
Mitglieder, die Stärken in der Erarbeitung von Inhalten haben, nicht aber in der Vermittlung dieser Inhalte an die Wahlbevölkerung, müssen in der BayernSPD gewinnbringend für die gemeinsame Sache eingesetzt werden – beispielsweise in unseren zahlreichen Arbeitskreisen.

4. Team statt Spitzenkandidat
Die BayernSPD braucht ein starkes Team, das zusammenhält und gemeinsam die Inhalte und Programmatik vermittelt. Pluralismus macht heute in einer individualisierten Gesellschaft eher stark und ist besser in der Lage, diese unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu erreichen und zu bedienen. In diesem Sinne müssen heutzutage politische Spitzenteams aufgestellt werden:
Stadt und Land, Altbayern, Schwaben und Franken, gläubig oder konfessionslos, mit und ohne Migrationshintergrund, Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Führungskräfte aus der Wirtschaft.

5. Wirtschaftliche Vernunft und Digitalisierung sichern Wohlstand und sozialen Aufstieg
Der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Bayern geht es gut. Sorgen bestehen eher um die Zukunft, als um das „heute“: Die demographische Entwicklung bedroht das Rentensystem, Elektromobilität und shared economy gefährden nicht nur unsere Automobilindustrie, sondern auch bewährte Geschäftsmodelle von Unternehmen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird zu strukturellen Änderungen führen und sektoral auch Arbeitsplätze vernichten, nationalistische Bestrebungen bedrohen Europa und die USA. Autokratische Regime setzen unsere Wirtschaft unter Druck und attackieren wieder in offenen Kriegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung.

Vor diesem Hintergrund braucht es ein Zukunftskonzept, das den Menschen Mut macht, Wege aufzeigt und nicht nur Ängste und Schreckensszenarien beschwört. Nichts ist wichtiger in dieser Zeit des Umbruchs, als eine sozialdemokratische Vision, wie sie in den 50er Jahren durch das Godesberger Programm aufgezeigt wurde und in den vergangenen 60 Jahren die Bundesrepublik ganz wesentlich geprägt und das geeinte Deutschland zum heutigen sozial und gesellschaftlich florierenden Land gemacht hat.

Entsprechend ist unsere Vision – und unser großes Vorbild Helmut Schmidt wird uns diesen Begriff verzeihen – ein Bayern, das eine globale Vorreiterrolle in Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz, nachhaltiger Mobilität, erneuerbaren Energien, digitaler Infrastruktur in Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung einnimmt. Nur durch eine erfolgreiche Wirtschaft sichern wir unsere Arbeitsplätze, unseren Wohlstand und unsere sozialen Standards dauerhaft. Eine erneuerte SPD muss auf Optimismus, technologische Machbarkeit und Alltagstauglichkeit in gesellschaftlicher, sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht setzen. Um dies zu erreichen, brauchen wir vor allem eines: ein Hoch-Bildungsland. Frühkindliche Bildung ab der KiTa mit spezieller Sprachförderung und kleinere Klassen insbesondere in den Grundschulen legen das Fundament, das junge Menschen unabhängig vom Bildungshintergrund der Eltern fit für Anforderungen des Arbeitsmarktes macht. Wir brauchen einen konsequenten Ausbau der Studiengänge im Bereich der Zukunftstechnologien an den bayerischen Universitäten und Hochschulen, konsequente Förderung von Technologien, systematische Start-Up-Förderung. Aktives weltweites Werben um Unternehmen und Talente sind einige der notwendigen Eckpunkte.

6. Arbeit, Chancen, sozialer Aufstieg und Integration

Die SPD ist die Partei der Arbeit, nicht die Partei der Kapitalerträge aus Spekulationen, der Erbschaften und Schenkungen. Dies muss wieder klar werden. Von einer Partei der Arbeit muss ein konsequentes Versprechen ausgehen: dass mit Fleiß auch sozialer Aufstieg verbunden ist und es sich somit lohnt, sich anzustrengen.

Auf der anderen Seite muss gerade die BayernSPD endlich aufhören, an einem völlig diffusen und wenig greifbaren Umverteilungsmantra aus den 70er Jahren festzuhalten. Das interessiert den größten Teil der bayerischen Bevölkerung nicht, vermittelt ein Bild der BayernSPD als „ewig Gestrige“ und beantwortet in keiner Weise die Frage, wie es Menschen zukünftig besser gehen kann. Wir müssen neue Konzepte entwickeln, um den arbeitenden Menschen wieder einen größeren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg zukommen zu lassen. Dazu gehört auch eine Umverteilung der Steuer- und Abgabenlast weg von Arbeitseinkommen hin zu Kapitaleinkommen, insbesondere großen Erbschaften. Die BayernSPD muss, auch im Freistaat, wieder die Partei des sozialen Aufstiegs werden. Hierfür brauchen wir, neben schlüssigen Konzepten in der Bildungspolitik, um wieder mehr Chancengleichheit zu ermöglichen, auch ein Konzept, wie man Menschen unterschiedlicher Herkunft besser integrieren und für unser Werte und Kultur begeistern kann. Dies hat, neben dem Gewähren von Bildungschancen, auch viel mit Akzeptanz und Respekt vor anderen Lebensentwürfen zu tun. Leider ist uns gerade diese kulturelle Integration, gerade bei Familien, die bereits in zweiter, dritter oder sogar vierter Generation bei uns leben, nur bedingt geglückt. Hierzu muss die BayernSPD in den nächsten Jahren viel Energie aufbringen. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass wir in der Zwischenzeit nur begrenzt weitere Zuwanderung zulassen dürfen.

In diesem Sinne fordern wir einen echten Neuanfang der BayernSPD – wir sind bereit, unseren Beitrag hierzu einzubringen.