Hessen und die Folgen

R. H. – Das Ende naht nun also früh im kommenden Jahr mit Schrecken: Der Wähler wird über Ypsilantis Mission urteilen und er wird – davon gehen alle Auguren aus – den Stab über sie und ihre Genossen brechen.

Roland Koch war abgewählt, und Andrea Ypsilanti, die beispielsweise durch die Forderung „Koalition ja, aber mit einem anderen Regierungschef“ – unterstützt von nicht wenigen in der hessischen CDU – sehr wohl Optionen gehabt hätte, die Abstrafung Kochs auch zu vollziehen, wird nun abgewählt werden – falls sie sich überhaupt noch traut, anzutreten.

Aber sie hatte ein anderes Projekt im Kopf. Es ging ihr nicht primär um den Kopf des Ministerpräsidenten. Es ist „das linke Projekt“, das sie umtrieb, dem sie zum Durchbruch verhelfen wollte. Es ist die Suche nach der Mehrheit links von der Mitte der SPD mit Hilfe der so genannten „Linken“. Es geht um die Durchsetzung einer Politik jenseits der Agenda 2010 – niemand hat so vehement dagegen angekämpft wie sie. Es ist der Versuch, die Achse der SPD aus der einer Volkspartei hin zu einer linken Kaderpartei zu drehen – und – welche Chuzpe! – sich dabei auch noch klassischer Sozialdemokraten zu bedienen.

Mit Ausnahme von Dagmar Metzger ist dies von den meisten nicht, von den weiteren drei Aufrechten offenbar sehr spät erst wahrgenommen worden: Hier geht und ging es nicht nur um einen normalem Regierungswechsel, hier ging es wirklich, wie angekündigt, darum, den „Regierungswechsel mit einem Politikwechsel zu verbinden“. Ein Politikwechsel hin zu einer stark ideologisch motivierten Politik (siehe z. B. den Artikel „Sozialdemokratische Politik in den ‚Widersprüchen unserer Zeit‘ “ von Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer, erschienen 2007 im Parteiblatt „Hessen Rundschau“ Nr. 40).

Willy Brandt wollte zusammen mit den Liberalen „mehr Demokratie wagen“. Dieser Politikwechsel in Hessen aber sollte und musste abgesichert werden durch eine bunte Truppe von Alt-Kommunisten, Trotzkisten, DKP-Aktivisten, Vertreter von lange Jahre durch die DDR gesponserten „Friedens“-Organisationen und enttäuschten Gewerkschaftlern. Politikwechsel mit Hilfe von Systemwechslern – mit Gegnern bestenfalls, zumeist aber mit ausgewiesenen und erklärten Feinden der Sozialdemokratie. Brandt dagegen wollte – wie heute Obama – seine Politik für und mit einer breiten Öffentlichkeit neu gestalten; und schon gar nicht war seine Reformpolitik von einem Hintergehen der Wähler begleitet.

Blickt man auf die Inhalte, so wird dieselbe Diskrepanz deutlich: Brandt wollte und hat es ja auch gemeinsam mit Wehner und dann Schmidt ein gutes Stück geschafft, die zunehmend verkrustete Gesellschaft der Adenauerzeit zu reformieren und die Demokratie mit neuem Leben füllen. Reformieren! Utopien a la Hermann Scheer waren dabei nicht geplant. Und der bis heute von den Deutschen am meisten geschätzte Kanzler Helmut Schmidt überließ solche „Visionäre“ sowieso lieber den Psychiatern.
Was sind nun die Folgen für unsere Partei?

  1. Das „linke Projekt“ ist zu Recht gestoppt, denn es sucht nicht die Mehrheitsbildung innerhalb der Partei, sondern vom Rand ausgehend mit anderen und in diesem Falle sogar nichtdemokratischen Gruppierungen, wie Carmen Everts es richtig beschrieben hat.
  2. Die SPD muss endlich ihr Verhältnis zur sog. „Linken“ klären. Die SEEHEIMER OBERBAYERN haben dies schon zu Beginn des Jahres angemahnt und ein entsprechendes Grundsatzpapier der Partei und der SPD-Bundestagsfraktion zugeleitet. Dabei liegt es doch auf der Hand: eine dauerhafte Partei links von der SPD bremst unsere Rolle als mehrheitsfähige Partei erheblich. Dies müsste eigentlich unabhängig vom Standpunkt innerhalb der SPD jedem klar sein.
  3. Die Konsequenz ist klar: Die sog. Linke ist weit mehr als ein politischer Gegner; sie zu bekämpfen, insbesondere solange sie in Westdeutschland noch im Aufbau mit fragilen Strukturen und zweifelhaften Personen sich befindet, ist das Gebot der Stunde. Dies schließt vor Allem eine Fraternisierung – wie in Hessen geschehen – aus, führt dies doch nur zu einer Aufwertung dieser in Wahrheit reaktionären Partei. (Diese zu fördern liegt nachgerade in der Logik des „linken Projektes“.)

Auch in Südbayern kursiert das „linke Projekt“, befindet sich unsere Partei auf „Irr(see)wegen“. Sie manifestiert sich nicht, weil keine Aussicht auf die Macht sich abzeichnet – und sie zeichnet sich nicht ab, weil vergessen wurde, dass die Mehrheiten in der Mitte und nicht in den Randpositionen zu gewinnen sind. Und weil die mancherorts praktizierte Kaderpolitik diese Krankheit fördert, weil sie auf Stromlinienförmigkeit ausgerichtet ist und eine breite Mitwirkung und Teilhabe aller Mitglieder an der innerparteilichen Willensbildung verhindert.

Lasst uns also die hessischen Zustände zum Anlass nehmen, die SPD in Bayern in der zukunftsorientierten Tradition von Georg von Vollmar, Wilhelm Hoegner, Waldemar von Knoeringen und Hans-Jochen Vogel neu orientieren zu helfen.