Die Partisanen der DKP

Gastbeitrag von Ernst Eichengrün zur Auseinandersetzung mit  einer reaktionären Linksaußenpartei

Was wir nachträglich aus der Geschichte der DDR erfuhren, konnte uns nicht sonderlich überraschen. Es gab ja vieles, was man diesem Regime zutraute. Die Einzelheiten freilich schockierten immer wieder. Wer in der DDR partout keinen Unrechtsstaat erkennen will, will das meiste davon natürlich nicht wahrhaben.

Auch im Westen war die Stasi aktiv. Vor allem mit Spionage, aber auch durch das Wirken vieler Einfluss-Agenten in manchen Organisationen und Redaktionen. Doch es gab noch mehr Aktivitäten: So weiß jeder, der es überhaupt wissen will, dass die Stasi vor Entführungen nicht zurückschreckte, ja, auch nicht vor Auftragsmorden, wie dem an dem geflüchteten Fußballer Lutz Eigendorf.

Doch was vor ein paar Monaten wieder an die Öffentlichkeit gelangte, nachdem es Jahre zuvor schon zweimal kurz publik geworden war, ist doch von neuer Qualität: Der Nachweis, dass die Stasi, von höchster Stelle abgesegnet, eine Partisanen-Truppe aus Kadern der DKP zusammengestellt und gründlich trainiert hatte. Die „Gruppe Ralf Forster“ wurde 1969 aufgestellt und hatte etwa 200 Mitglieder, die als „Schläfer“ in der Bundesrepublik lebten. Ihr Auftrag war es, im Ernstfall im Westen Sabotage-Akte zu verüben und auch Gegner zu ermorden. Ihre Bewaffnung bestand nicht nur aus Handfeuerwaffen, sondern auch aus MGs, Panzerfäusten und Sprengstoff. „ Die Ausbildung war intensiver als 15 Monate Bundeswehr“ gab ein früheres Mitglied zu Protokoll.

Diese Militärorganisation der DKP (Vorläufer gab es ja schon in der Weimarer Republik) war also kein Indianerspielen, sondern eine ernsthafte Angelegenheit, die sich die DDR viele Millionen Westmark kosten ließ. Die „Gruppe“ bestand bis 1989, auch für 1990 war schon ein Haushalt aufgestellt. Die Stasi-Unterlagen darüber zu vernichten, war nach der friedlichen Revolution eines der Hauptanliegen der bedrängten Machthaber – alles unter der Ägide des Ministerpräsidenten Modrow, des ach so honorigen und von Lafontaine verehrten Aushängeschilds der PDS. Doch einiges konnte die Stasiunterlagen-Behörde wiederherstellen. Man versteht schon, warum manche heute die Akten schließen wollen!

So erstaunlich schon diese Enthüllungen waren, die die Rolle der DKP in ein neues Licht rückten, umso mehr muss erstaunen, dass daran heute kaum Schlussfolgerungen geknüpft werden, z.B. diese:

Der Radikalen-Erlass

Als die Bundesländer einmütig und im ausdrücklichen Einvernehmen mit Bundeskanzler Willy Brandt 1972 den Ministerpräsidentenerlass, besser bekannt als „Radikalen-Erlass“, verabschiedeten, schlugen die Wellen der Diskussion hoch. Dabei ging es nur um eine Selbstverständlichkeit: “Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt“ und „ gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird.“

Neben der umstrittenen Frage der „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz, der Millionen Bewerber unterzogen worden waren und die schon bald abgeschafft wurde, spielte in dieser Diskussion aber auch eine Rolle, ob man denn wirklich bei jedem DKP-Mitglied Zweifel haben musste. Gerne wurde dabei auf das Beispiel eines „harmlosen“ Eisenbahners oder eines Briefträgers verwiesen, von denen nun doch wirklich keine Gefahr ausgehen könne. Dabei übersah man geflissentlich, welche Sabotagemöglichkeiten gerade ein Eisenbahner haben konnte: Eine falsch gestellte Weiche oder ein provozierter Unfall hätten ganze Hauptstrecken blockiert. Und auch der Briefträger konnte im Spannungsfall Gestellungsbefehle unterschlagen oder aus ihnen wichtige Informationen gewinnen.

Doch so etwas trauten viele einem DKP-Mitglied einfach nicht zu, denn das waren für manche eben nur die netten, engagierten Leute von neben an, die allenfalls einige eigenartige Ideen hatten. Vielleicht sollten die Verharmloser von damals sich heute nachträglich fragen, ob es darunter nicht auch Mitglieder der Partisanen-Organisation gab.

Die Aktionseinheit mit der DKP

Die „eigenartigen Ideen“ dieser Kommunisten wurden aber von vielen nicht nur unter einem ins Unendliche erweiterten und so ins Absurde verzerrten Toleranzbegriff hingenommen, sondern es gab leider auch etliche, die diese Ideen als gar nicht so eigenartig empfanden: Sie teilten sie ansatzweise oder sie stellten Unterschiede zurück, um sich auf den Kampf für die gemeinsamen Ziele zu konzentrieren, seien sie gesellschaftspolitisch oder friedenspolitisch. Wenn es um den Primat der Erhaltung des Friedens ging, dann – so meinten viele allzu leicht Verführbare – war jeder Bundesgenosse recht.

So entstand die Bereitschaft zur Aktionseinheit mit der DKP und ihren Frontorganisationen. Dabei spielte es keine Rolle, ob eine Aktion von den Kommunisten initiiert oder “nur“ mitgetragen wurde. Vielen machte es sogar Spaß, das Tabu der Zusammenarbeit mit Kommunisten zu brechen. Dass so etwas der Politik der Kommunisten in die Hände spielte, dass solche Aktionen bei den Machthabern im Osten die Illusion nährte, der Westen sei von innen her zu schwächen oder gar zu erobern, das wollten diese Bündnisfreunde nicht wahrhaben.

Wer diese Bündnispolitik kritisierte, dem wurde „primitiver Antikommunismus“ vorgeworfen, was gerade bei herkömmlichen, also unpolitischen Schöngeistern wirkte. Auf ähnlicher Linie semantischer Manipulation lag – und liegt bis heute – der Vorwurf der „Berührungsängste“ – ein völlig unpolitisches Argument, das verschleiern sollte, dass es tatsächlich um die Gewinnung „nützlicher Idioten“ – so der interne Sprachgebrauch in der für „Westarbeit“ zuständigen Abteilung beim ZK der SED – ging. Auch die damals oft aufgestellte und vielfach sogar belegte These einer kommunistischen Unterwanderung wurde als lächerlich abgetan. Nach 1990 wurde das ganze Ausmaß dieser Unterwanderung offenkundig. Jeder hätte es ahnen und teilweise wissen können.

Was damals schon allzu offensichtlich war und später aus den DDR-Akten belegt wurde, nämlich, dass viele „Bündnis“-Aktionen von der DDR gefördert und teilweise auch gelenkt wurden, weil sie eben im Interesse der SED waren, hat kaum einen der aktionsbereiten Verharmloser hier im Westen gestört. Jeder konnte es ahnen, wollte es aber nicht wissen. Hauptsache, man kämpfte gegen den gemeinsamen Feind und für den Frieden!

Spätestens heute müsste man es besser wissen: Vielleicht hatte der, der damals neben einem mitmarschierte, schon seinen geheimen Einsatzbefehl in der Tasche? Doch wer von den damaligen Aktivisten ist schon zu dieser späten Einsicht und der an sich fälligen öffentlichen Selbstkritik fähig? Nein, es war doch so schön, so aufregend romantisch, so gemeinschaftlich – das Mitschwimmen auf dem antiatlantischen Traumschiff.

Die Rolle der DKP heute in der so genannten Linkspartei

Es ist kaum anzunehmen, dass die damalige Führung der DKP nichts von der Guerilla-Truppe in ihren Reihen wusste. Irgendwer in der DKP musste ja die Freiwilligen rekrutieren. Und viele andere Kommunisten hätten im Ernstfall nur allzu bereitwillig dieser Fünften Kolonne geholfen.

Dass sich die Linkspartei (die zutreffender als „Linksaußenpartei“ bezeichnen werden sollte) heute im Westen auch auf die Kader der DKP stützt, ist offenkundig. Man braucht nur manche Kandidatenliste durchzugehen. Das neue Programm der Linksaußenpartei lässt noch auf sich warten. Aus gutem Grund, denn der Klärungsprozess steht noch aus. Wer sich auf eine Koalition mit dieser Linksaußenpartei oder auf Absprachen mit ihr einlässt, kauft die DKP praktisch gleich mit. Und etliche chaotische linksextremistische Splittergruppen dazu.

Ob sich mancher Koalitionswillige zumindest jetzt daran stört, welchen „Kampfauftrag“ Teile der DKP damals hatten? Ob er sich jetzt fragt, wer von den ersehnten Partnern vielleicht auch zur „Gruppe Ralf Forster“ gehörte? Ich fürchte nicht, denn das wären ja schon wieder „Berührungsängste“ und „primitiver Antikommunismus“! Und: Vermeintlicher Machtzuwachs ist einigen eben wichtiger als Klarheit zugunsten der eigenen Grundwerte.

Reprint aus  FREIHEIT UND RECHT 2010 / 1
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Ernst Eichengrün war von 1967– 69 Bundessekretär der Jungsozialisten. Im Zusammenhang mit der damaligen innerparteilichen Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Bewegung war er einer der Initiatoren des Seeheimer Kreises (vgl. etwa Annekatrin Gebauer: „Der Richtungsstreit in der SPD“, ISBN 3-351-14764-1). Er war u.a. Vizepräsident des Gesamtdeutschen Instituts – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben.